Frühere Kolumnen aus dem Jahr 2023

Kommentar von Wilhelm Unrau - mit Antworten

Kein Wumms .Jetzt regen sich alle auf, dass die Bundeswehr keinen Wumms machen kann. Aber Merkel und ihre schwarze Null haben sie alle viermal gewählt. Als Stiglitz schrieb: "Europa spart sich kaputt" hat Deutschland unter Merkel genau das vorbildlich getan und nebenbei Griechenland die Flötentöne beigebracht. Die Bundeswehr steht z.Zt. im Fokus, aber so wie in diesem Politikfeld sieht es auch woaners aus. Die schwarze Null (und die 60% Schuldenstand und die 3 % Neuverschuldung) wurden teuer erkauft: Verwaltung von vorvorgestern und personell ausgedünnt, Bildungspolitik aus der Gründerzeit, Digitalisierung verpennt, u.v.a.m.  Nun sagte der Efinder des Wumms in seiner Eigenschaft als Finanzminister 2020 als Coronna kam, wir können uns das leisten, weil wir gut gewirtschaftet haben. "Gut gewirtschaftet", so verteidigte ein SPD Finanzminister, der meinte, auch er, zwar Sozialdemokrat, sei ein deutscher Finanzminister, die Dummheit der schwarzen Null. Nun, als General brachte er seienrzeit Schröders Niedriglohnsektor ohne ML unter das Volk. Nein, ich mag Scholz nicht. Ich finde ihn nicht vertrauenswürdig. Er hängt sein Fähnlein in den Wind. Und das kann ich nicht als Besonnenheit erkennen. Er freut sich nur, dass niemand weiß, dass er Rumpelstilzchen heißt. Das kann ich verstehen. Jedenfalls als Finanzminister ist ihm ebensowenig wie den anderen sozialdemokratisch verorteten Kollegen vor ihm aufgefallen, dass die Bundeswehr nix zum schießen hat. Was ich wiederum auch verstehen kann, auch wenn sich das jetzt als kurzsichtig falsch herausstellt.  Jetzt, wo Kuscheln mit Putin nicht mehr angesagt ist.

Peter Schwarz schreibt:

Den Kommentar von Wilhelm Unrau möchte ich gerne noch um einen Aspekt ergänzen.  So, als wäre es plötzlich über uns gekommen, klagen jetzt alle über unhaltbare Versorgungszustände in den Kliniken und Krankenhäusern. Ausgerechnet bei den Kleinsten auf den Kinderstationen fehlt das not- wendige Personal. Leidende Kinder erregen zu recht die Gemüter. Karl Lauterbach will deshalb, dass Kräfte von den Regelstationen abgezogen werden. Folge ist, dass die Versorgungslücke bei den oft Ältesten unserer Gesellschaft entsprechend größer wird. Diese Flickschusterei ist unerträglich und sie ist gleichzeitig direkte Auswirkung der Sparpolitik der letzten Jahrzehnte. Die den Krankenhäusern aufgezwungen Effektivitätszwänge gingen zu Lasten der Qualität medizinischer und pflegerischer Versorgung. Profitiert haben Anleger und Aktionäre der meist privatwirtschaftlich geführten Häuser. Gesellschaft und Politik haben es mit einer Medizin und Pflege nach der Stoppuhr wider besseren Wissens zugelassen, dass sich die Arbeitsbedingungen von Ärzten und Pflegekräften dramatisch verschlechterte. Wir haben es mit einer beispiellosen Abwanderung aus medizinischen, pflegerischen und auch pädagogischen Berufen zu tun. Eine kommerzielle, gewinnorientierte Bewertung helfender Tätigkeit am Menschen war und ist nur mit Verknappung von Personal und Zeit möglich. Das ist frevelhaft und passt nicht zu unserem Versorgungsbedürfnis wie sich nicht erst seit Corona gezeigt hat. Aufgabe der Politik ist es, durch soziale Daseinsfürsorge Schaden von den Menschen abzuwenden. Diese Pflicht hat man, wie viele andere gemeinwesenorientierte Aufgaben auch, einer neokapitalischen Mentalität und Arroganz geopfert. Das war und ist falsch!

Antwort von Peter Unrau:

auf den Kommentar von Peter möchte ich wie folgt ergänzend antworten: fragt sich, wie kommt das alles? Merkel war stolz darauf, Politik auf Sicht zu machen. Wer Politik auf Sicht macht, der sieht Probleme, löst diese auch - allerdings ohne über den Tellerrand zu schauen. Wenn das Gesundheitswesen zu teuer wird, müssen Kosten gesenkt werden. Sprich: es muss billiger werden. Das kann man tun, aber ... und darüber macht sich der auf Sicht Fahrende keine Gedanken. Aber, was bewirken die Lösungen (Kosten runter) in anderen Bereichen? Und wie kommt es, dass der Blick über den Tellerrand nicht vehement eingefordert wird? Lieber Peter, Du schreibst richtig: "Aufgabe der Politik ist es, durch soziale Daseinsfürsorge Schaden von den Menschen abzuwenden. Diese Pflicht hat man, wie viele andere gemeinwesenorientierte Aufgaben auch, einer neokapitalischen Mentalität und Arroganz geopfert. Das war und ist falsch!" Im Grunde einfach einsichtig. Warum wird genau das übersehen. Die schwarze Null und das Fahren auf Sicht ist eben nicht einfach eine Fehlentscheidung im Detail, diese Fehlentscheidung ist systemisch bedingt: Sparen, um Geld für Zukünftiges zur Verfügung zu haben, ist richtig für den einzelnen und für einen Betrieb (Einzelwirtschaft). Aber es ist eben grundfalsch für einen Staat, für die Gesamtökonomie. Wenn der Einzelbetrieb sparen will, kann er z.B. Lohnkosten senken oder Mitarbeiter entlassen. Ist dieser Prozess abgeschlossen, belasten ihn die entlassenen Mitarbeiter nicht mehr. Die gesenkten Kosten erhöhen seinen Gewinn, bei sonst gleichbleibenden Umständen, das ist das Ziel. Ein Staat, eine Gesamtwirtschaft, aber kann keine Kosten senken. Spart sie an der einen Stelle, treten Probleme an einer anderen auf. Bildung, z.B., Investitionen in Bildung erzeugen eine Rendite von 6% - nach 20 Jahren. Hätte man vor 20 Jahren in Bildung investiert statt in den Niedriglohnsektor, sähe die Sache heute anders aus: Wir könnten diese Rendite einfahren. So haben wir nur Kosten gesenkt. Und? Die Situation ist so geschaffen worden, wie du es oben darstellst. Nicht nur von Merkel sondern eben auch und nicht zuletzt von den sparenden Juristen der SPD. Dem kann man nicht nur mit dem Appel an das begegnen, was Politik ausmachen muss: Gestaltung der Lebensverhältnisse jetzt und in der Zukunft. Und man kann das auch knallhart ökonomisch (auch geldpolitisch) begründen. Selbst Soziademokrat:innen arbeiten daran, siehe das Dezernat Zukunft unter Philippa Sigl-Glöckner. Was wir allerdings bräuchten, um in dieser Hinsicht erfolgreich zu sein, das wäre eine breit angelegte Bildungskampagne, die den Unterschied zwischen Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft zweifelsfrei deutlich macht. Und natürlich die unterschiedliche Rolle von Geld im privaten Haushalt oder einem Einzelbetrieb und in der Staatskasse, also in der Volkswirtschaft. Leider ist Deutschland eher philologisch philosophisch unterwegs. Ein bißchen Einblick aber in die Grundlagen der ökonomischen Gestaltung der Lebensverhältnisse wäre nicht verkehrt. Politik könnte dann nicht mehr einfach auf Sicht fahren. Sie bräuchte einen Plan und ein kommuniziertes Ziel. Und das könnte nicht schwarze Null und Sparen um jeden Preis sein.

Peter Schwarz kommentiert zum 8. Mai

Der 8. Mai 1945 ist der Tag der Befreiung vom deutschen Nationalsozialismus. Mit hohem Blutzoll gelang es den Alliierten das verbrecherische Regime menschenverachtender Faschisten zu besiegen. Abermillionen Menschen weltweit verloren ihr Leben. Europa wurde in Schutt und Asche gelegt.  

Im Epilog von Berthold Brechts Parabel »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« heißt es "...der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch..." und meint den Fortbestand faschistischen Gedankenguts noch Jahre nach Kriegsende.

Bis heute bedroht kranker Nationalismus und Faschismus die Gesellschaften weltweit. Dem gegenüber aber steht die Kraft unserer freiheitlichen, sozialen Demokratie. Das "Nie wieder" einer friedliebenden Nachkriegsgeneration, die gesellschaftliche Öffnung in ein freies Europa gilt heute in besonderer Weise.

Ein Zurück wird es mit uns nicht geben.

Bleiben wir wachsam!

2 Leserbriefe von Christof Nitsche

RZ vom 29.09.23, S.8 „Merz sorgt…“

„Was ihr dem geringsten meiner Brüder…“

Jetzt sind also die Flüchtlinge, folgt man den Worten von Friedrich Merz, auch noch an den schlechten Zähnen der Krankenkassenmitglieder Schuld. Von der AfD hätte ich so einen Spruch ja erwartet, aber vom Vorsitzenden einer Partei, bei der das Christlich an erster Stelle im Namen steht? „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ heißt es bei Matthäus 25, 40. Das gilt auch für das, was man ihnen nicht getan hat. Vielleicht lag ja Friedrich Merz gar nicht so daneben, als er seine Sicht der CDU mit „Alternative für Deutschland – mit Substanz“ bezeichnet hat.

Christoph Nitsche, Straßenhaus



RZ vom 28.09.23, S. 6 „Jugendliche verklagen…“

„Abwehrschlacht“

Die allmorgendliche Lektüre der Rhein-Zeitung ist schon lange kein Vergnügen mehr. Auf den noch nüchternen Magen trifft ein Gemisch aus weltweiten Kriegsberichten, Umweltkatastrophen und kränkelnder Wirtschaft. Da geht mir doch das Herz auf, wenn ich heute von den sechs Kindern und Jugendlichen aus Portugal lese, die den Mut aufgebracht haben gegen die Tatenlosigkeit viele europäischer Staaten zur Erreichung der Klimaziele vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagen. Achtzig sicher hochbezahlte Anwälte haben diese Länder gegen die sechs in Stellung gebracht. Es mutet wie eine überzogene Komödie an, ist aber todernst gemeint. Ich würde mir wünschen, diese Saaten würden die gleiche Energie und Zielstrebigkeit in die Bewahrung der Schöpfung stecken, die sie für den Versuch einer juristischen Abwehrschlacht aufwenden. Mögen David auch dieses Mal gegen alle Wahrscheinlichkeit siegen, denn Goliath kämpft einen Kampf, bei dem letztlich alle nur verlieren können.

Christoph Nitsche, Straßenhaus